Neue Arbeitsteilung im 19. Jahrhundert

Bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts änderte sich die Zahl von stets mehr als 35 Hofstellen kaum, schnellte bis 1900 aber auf mehr als 60 hoch. Erst mit den Agrarreformen (Bauernbe-freiung) begann, wie in vielen Dörfern, die große Veränderung: Abstellung der Dienste, Ablö-sung der Abgaben, Aufteilung der gemeinschaftlich genutzten Wälder und Weiden (Gemein-heitsteilung) und Zusammenlegung der schmalen bäuerlichen Besitzparzellen zu größeren Ackerstücken (Verkoppelung). Dieser Vorgang währte in Lüdersen von 1839 bis 1859. Im Mittelpunkt stand der Verkoppelungsrezess von 1852.

Vor den Agrarreformen waren Verständigungen unter den Hofbesitzern um die Nutzung der Gemeinheit und die Feldbestellung nötig. Wie viel Holz durfte geschlagen werden? Wie viel Vieh durfte in den Wald getrieben werden? Und da eine Vier- und sodann Fünffelderwirt-schaft betrieben wurde: wann sollte gesät, wann geerntet werden? Welche Flurstücke sollten Brache sein? Dieser Zwang zur Kooperation entfiel nunmehr, denn jetzt waren die Bauern Eigentümer ihrer zu größeren Einheiten zusammengeschlossenen Felder und Wiesen. Kom-munale Angelegenheiten mussten in eine neue Rechtsform gebracht werden. 1853 entstand die politische Gemeinde. Das Dorf zählte nunmehr ca. 400 Einwohner, doch die Oberhand behielten die Bauern mit dem meisten Land und den zahlreichsten Arbeitsplätzen, denn die Hälfte des Gemeindeausschusses wurde von den Vollmeiern gestellt.

1872 wurde die Eisenbahn Hannover - Hameln - Altenbeken mit dem Bahnhof in Bennigsen fertig gestellt, 1874 eröffnete die Zuckerfabrik in Bennigsen. Zu diesem Zeitpunkt zeigt die Klassensteuerrolle von 1879 für Lüdersen deutliche Abweichungen gegenüber dem frühneu-zeitlichen Leben im Ort. Weiterhin dominierten vom Vermögen her die Meierhöfe. Die Mehrzahl der Kleinbauern war arm. Zwischen beide Gruppen hatte sich aber eine neue ge-schoben: Gewerbetreibende und Dienstleister. Alle wichtigen Handwerke waren nun im Dorf vertreten und dazu einige Bahnbedienstete und auch 44 Tagelöhner. Eine neue Arbeitsteilung hatte stattgefunden. Linden und Hannover waren als Industrieorte rasch gewachsen. Die Landwirtschaft richtete sich auf die neuen industriellen Zentren aus. In der Calenberg Börde konnte ertragreich Weizen angebaut werden. Eine grundsätzliche Veränderung im Frucht-wechsel brachte die mittlerweile zu hohem Zuckergehalt gezüchtete Zuckerrübe. Außerdem ermöglichte das Rübenblatt ein Füttern des Rindviehs auch im Winter, so dass in großem Um-fang Milchviehhaltung erfolgen konnte. Die Mechanisierung der Landwirtschaft hatte aber noch nicht begonnen. Daher mussten die Vollbauern viele einst auf dem Hof mitbetriebene handwerkliche Arbeiten delegieren und sich über das eigene Gesinde hinaus von Tagelöhnern unterstützen lassen. Die soziale Ungleichheit im Dorf prägte sich durch die neue Trennung zwischen agrarischer und gewerblich-dienstleistender Tätigkeit immer weiter aus.

Dies macht der Baubestand besonders deutlich. Es entstanden die neuen roten Backsteinge-äude der Kleinststellen mit ihren quer stehenden Giebeln über dem Hauseingang und den neben liegenden kleinen Stallungen (Zwerchgiebelhäuser, z. b. in der Bergdorfstraße). Auf den alten Höfen hatte das Fachwerkhaus ausgedient, denn der Stauraum unter dem Dach reichte nicht mehr für die großen Erntemengen aus und die Stallungen links und rechts der Tenne wurden zu eng. Man baute jetzt repräsentative und ummauerte Dreiseithofanlagen („Rübenburgen“) mit Wohnhaus, quer liegenden Stallungen und Seitfahrtscheune, geschmückt mit Ziegelornamenten (z.B. Hiddestorfer Straße). Ein Hof wurde sogar ausgelagert.

Neue Kooperationsformen traten an die Stelle des alten Zwanges zur Zusammenarbeit: die politische Gemeinde und, beginnend mit dem Gesangverein von 1893, die Vereine. Trotz allem bewahrte Lüdersen seinen bäuerlich-agrarischen Charakter. Die Landwirtschaft stand im Mittelpunkt. Gewerbe und Dienstleistungen waren der agrarischen Funktion untergeordnet.