Der Kirchturm, ein Schutzturm

1252 wird ein Pfarrer in „Luderhusen“ erwähnt, ebenfalls mit größter Wahrscheinlichkeit dem heutigen Lüdersen zuzuordnen. Dies ist nicht nur der erste sichere Beleg für die Kirche, son-dern auch ein Hinweis auf die Namensendung „-hausen“, wie im „-sen“ des heutigen Ortsna-mens weiterhin enthalten. In der Fachliteratur über Baudenkmale in Niedersachsen werden Teile der Lüderser Kirchturms im Übrigen frühestens auf das 12. Jh. geschätzt. Fast alle Dorfkirchen im Calenberger Land stammen erst aus jener und auch noch späterer Zeit.

Der Turm der Kirche wird als „Wehrturm“ bezeichnet. Seine starken Außenmauern deuten auf eine über die Trägerkonstruktion des Glockenwerkes und über die religiös-repräsentative Funktion hinausgehende Nutzung. Zudem hatte der Turm bis zur neugotischen Gestaltung, immerhin durch Conrad Wilhelm Hase 1871/72, offenbar keinen ebenerdigen Zugang. Die Gläubigen betraten die Kirche von Süden durch eine Tür im mittleren Schiff. Nun kennt man in Europa vielerorts befestigte Kirchen oder burgturmartige Kirchtürme, und etliche Kirchen des Calenberger Landes weisen eben jene trutzigen Turmsockel auf.

Könnte in Lüdersen ein Zusammenhang mit dem Aufgeben der Fliehburgen auf dem Deister, hier speziell der Bennigser Burg bestehen? Jene Wallanlage des 9.-10. Jahrhunderts mit der Hauptburg von 140 x 160 m und einer Vorburg von 100 x 185 m dürfte in Kriegszeiten vielen Menschen aus dem mit zahlreichen Kleindörfern dichter als heute mit Siedlungen besetzten Gebiet zwischen Völksen, Gestorf und Lüdersen Schutz geboten haben. Im 12. Jahrhundert stiegen die Einwohnerzahlen im Rahmen des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums, und die städtischen Siedlungen gediehen. Im Gefolge Heinrichs des Löwen etablierte sich der lo-kale Adel ebenso wie eine Ministerialität unfreier Personen, die höhere Herrschaftsdienste wahrnahmen. Gerade nach der Entmachtung Heinrichs des Löwen verschmolzen diese Grup-pen zum niederen Adel, der seinerseits die teils bis heute bestehenden Rittergüter ausbaute (vgl. Gestorf, Bennigsen). Die entstehenden Städte wurden mit Wall und Graben, mit Palisa-den oder Mauern befestigt. Die Adelssitze hatten als Kerngebäude oft einen festen Turm. Und die Dörfer? Sollten wir im Falle der starken Kirchtürme besser von Schutztürmen sprechen, in denen Vorräte in schlimmen Zeiten gelagert wurden, ja, in die sich die Menschen zurückziehen konnten, die zu jener Zeit noch in Gruben- und Pfostenhäusern wohnten?

Generell scheint die Ortssituation Lüdersens auf eine so genannte Schutzlage zu deuten. Das Dorf liegt in mehr als 100m Höhe auf einem Sporn, den der Wolfsberg nach Süden in das Calenberg Land hinein schiebt. Im Bogen von Westen nach Süden ist der Ort von der feuchten Niederung der am nördlichen Süllberg entspringenden, nach Pattensen fließenden, Schille umgeben; im Westen schließt sich das ebenfalls feuchte Stamsdorfer Holz an. Diese Schutz-lage an der Grenze zwischen trockenen und feuchten Arealen, zwischen Waldflächen in der Höhe, feuchten Wiesen und Wäldern in der Niederung sowie fruchtbaren Äckern in der Löss-börde am Hangfuß bot vorzügliche Möglichkeiten für Bau- und Brennholzgewinnung, Stein-brüche und Tonkuhlen, Wiesen und (Wald-)Weiden sowie für ertragreichen Ackerbau.